Alle diese Schüler/innen scheinen im Katalog der nächsthöheren Klasse nicht mehr auf. Recherchen einer HAK-Projektgruppe unter der Leitung ihres Geschichtelehrers Dr. Walter Scheffauer ergaben, dass allen die Flucht ins Ausland (Großbritannien und USA) gelungen war. Keiner ließ sich später wieder in Österreich nieder, zumal ihr ehemaliges Familienvermögen „arisiert“ worden war und nie zurückgegeben wurde. Zum Teil handelt(e) es sich dabei um renommierte Innsbrucker Geschäfte.

Die Davidsterne an etlichen Türstöcken unserer Schule deuten darauf hin, dass sich unter den Sponsoren der Innsbrucker Kaufmannschaft, welche unsere Handelsakademie am Ende des 19. Jahrhunderts mitbegründeten, auch jüdische Kaufleute befunden haben.

Das von SS und SA organisierte Pogrom am 9. November 1938 fiel in Innsbruck besonders grausam aus. SA-Schlägertrupps überfielen, mit Adresslisten ausgestattet, die 130 in Innsbruck lebenden Juden. Die Synagoge in der Sillgasse brannte ab, jüdische Wohnungen und Geschäfte wurden zerstört und geplündert. Vier Personen wurden auf der Stelle ermordet, womit Innsbruck, gemessen an seiner Einwohnerzahl, den österreichweit höchsten Blutzoll entrichtete. Darunter Richard Berger, der Vater des HAK-Schülers Fritz Berger. Er wurde von einer Horde junger SA-Leute mit Steinen erschlagen. Seine Leiche warfen die Täter bei Kranebitten in den Inn, wobei sie noch mehrmals auf den Körper einschossen, weil er in den Auen immer wieder angeschwemmt wurde. Der Anführer der Aktion, Gerhard Lausegger, damals SS-Studentensturmführer, tauchte nach dem Krieg zunächst unter, konnte aber vom Sohn des Ermordeten, Fritz Berger, der als britischer Besatzungssoldat unter dem Namen Frederick Benson nach Österreich zurückkehrte, aufgespürt und verhaftet werden. Seiner Bestrafung entzog sich Lausegger durch Flucht über Südtirol nach Argentinien, die sogenannte „Rattenlinie“ (organisiert vom Roten Kreuz und Vertretern der katholischen Kirche). 1966 starb er dort in einem Autounfall.

Dem Mörder, Lausegger, ist auf dem Innsbrucker Westfriedhof in Form eines protzigen Denkmals ein ehrendes Andenken gewidmet, unweit des jüdischen Friedhofs. Sein Opfer, Richard Berger, hat hingegen dort kein Grab. Sein Leichnam wurde auf behördliche Anweisung in München eingeäschert, wofür die Familie die Kosten zu tragen hatte.

Unser ehemaliger Schüler Fritz Berger/ Frederick Benson ist am 09.07.2007 in England verstorben. Leider ist es unserer Projektgruppe nicht gelungen, mit den über die Welt verstreuten Familien unserer im Jahr 1938 vertriebenen Schüler Kontakt aufzunehmen. Wir wollen sie dennoch nicht vergessen.

 

 

Aus dem Fotoalbum der Familie Berger: Als ihre Tiroler Welt noch in Ordnung war 

Familie Berger im Jahr 1932: von links unser späterer Schüler Fritz Berger (auf dem Foto noch zu jung für die HAK), seine Mutter Gerda, sein Vater Richard und sein Bruder Walter. Frau Berger gelang 1939 die Flucht nach Palästina, wo sie die Urne ihres Gatten in einem Kibbuz bestattete. Auch Bruder Walter flüchtete nach Palästina. Fritz war schon 1938 über Belgien nach England geflüchtet, wo er bei Verwandten unterkam. Als britischer Besatzungssoldat kehrte er 1945 nach Österreich zurück und suchte, teilweise erfolgreich, nach den Mördern seines Vaters.

Quelle: Manfred Mühlmann, Foto zur Verfügung gestellt von Richard Benson, dem Sohn Fritz Bergers/ Frederick Bensons und Enkel Richard Bergers.

Text: Sabine Wallinger