Im Fokus steht dabei der brutale Mord am Vorsteher der Israelitischen Kultusgemeinde Innsbruck, Ing. Richard Berger, sowie das Schicksal seiner Familie, welches auch mit unserer Schule verknüpft ist: Einer der beiden Söhne, Fritz Berger, war bis zur Eingliederung Österreichs in Hitlers „Deutsches Reich“ im März 1938 Schüler an der Innsbrucker HAK, musste dann jedoch wie alle anderen jüdischen Schüler/innen seine hiesige Schullaufbahn abbrechen. Wie der Film „Zersplitterte Nacht“ einfühlsam nachzeichnet, brachten die besorgten Eltern Berger ihre Kinder rechtzeitig nach England in Sicherheit. Richard Berger jedoch fühlte sich bis zum bitteren Ende „seiner“ jüdischen Gemeinde verpflichtet und stand nicht zuletzt deswegen an vorderster Stelle auf der Todesliste der Nazis. Der Tiroler „Gauleiter“ Franz Hofer, im Film dargestellt von Regisseur Hermann Weiskopf, wollte die Pogromnacht wie eine spontane Entladung eines antijüdischen „Volkszorns“ aussehen lassen, organisierte die Zerstörung der Synagoge, die Überfälle und Morde jedoch akribisch mithilfe von SS und SA. Richard Bergers Mörder, die ihn aus seiner Wohnung zerrten und in Kranebitten erschlugen, waren Jugendliche, aufgehetzt und angeführt vom SS-Studentenführer Gerhard Lausegger.
Nicht nur aus Anlass des aktuellen Gedenkjahres 1938 – 2018, sondern auch im Rahmen der internationalen Lehrer/innen-Tagung, die von der HAK Innsbruck organisiert wurde, hatte sich der Regisseur und zugleich Schauspieler Hermann Weiskopf bereitgefunden, uns seinen Kinofilm vorzuführen und zu erläutern. Dabei erzählte er von den schwierigen Bedingungen, aber auch besonderen Chancen eines Nicht-Mainstream-Filmes wie „Zersplitterte Nacht“: geringere Verbreitung, dafür längere Haltbarkeit. Es sei ihm darum gegangen, historisches Geschehen durch den Fokus auf Einzelpersonen greifbar zu machen, und zwar auf der Opfer- wie auch der Täterseite. Besonders eindringlich gelang ihm dies durch zwischengeschaltete Zeitzeugen-Interviews mit Innsbrucker/innen, die 1938 in jugendlichem Alter gerade noch die Flucht ergreifen konnten und heute in Israel leben.
Der Sohn des ermordeten Ing. Richard Berger, „unser“ ehemaliger Schüler Fritz Berger, kehrte nach der Befreiung Österreichs als britischer Offizier Frederick Benson nach Innsbruck zurück, um nach den Mördern seines Vaters zu fahnden und sie vor Gericht zu bringen. Diese waren allerdings zur Tatzeit meist noch nicht strafmündig gewesen, ihr Anführer Lausegger hingegen wurde von Benson aufgespürt und verhaftet. Unter ungeklärten Umständen brach er aus und flüchtete über die „Rattenlinie“ nach Argentinien, wo er rund zwanzig Jahre später bei einem Autounfall ums Leben kam. Frederick Benson (geb. Fritz Berger) verstarb 2007 in London und konnte darum für den 2013 erschienenen Film leider nicht mehr interviewt werden. An seiner Stelle spricht sein Sohn Richard, der Enkel des ermordeten Richard Berger, über seinen Großvater, den er nie kennenlernen durfte. Ein dunkler Schatten über der Familiengeschichte, unter dem auch die Nachkommen leiden. In den Kranebitter Inn-Auen, dort, wo die grausame Tat verübt wurde, sieht man Richard Benson eine Rose in den Inn werfen.
Auf das Gedenken der Handelsakademie Innsbruck an ihre damaligen jüdischen Schüler/innen angesprochen, erklärte sich Regisseur Hermann Weiskopf spontan bereit, den Kontakt mit Richard Benson herzustellen. Dieser würde sich gewiss freuen, nach Innsbruck zu kommen und der ehemaligen Schule seines Vaters einen Besuch abzustatten.
Nach dem Besuch des ehemaligen HAK-Schülers und Zeitzeugen Pepi Wurzer im Schuljahr 2017/18 wäre dies ein weiteres Projekt, um eine Brücke von unserer Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen. Gewiss im Sinne von Ingenieur Richard Berger, der im Zivilberuf Brückenkonstrukteur bei den Österreichischen Bundesbahnen war.
Sabine Wallinger, November 2018